11. August 2023
Kanada: Indigene Erlebnisse in Manitoba
Von stillen Momenten beim Perlensticken bis hin zu rasanten Abenteuern in der subarktischen Landschaft – bei diesen und anderen Erlebnissen erwecken Manitobas Storyteller indigene Geschichte und Kultur zum Leben und sorgen damit für eine ganz neue Art von Reiseerfahrung. Die indigenen Völker haben die eindrucksvolle Fähigkeit, das Wissen rund um ihre Kultur beim Erzählen von Geschichten, dem sogenannten Storytelling, weiterzureichen. Hierbei werden die Sinne ihrer Zuhörer geweckt und das Verständnis vertieft. Die Reisejournalistin Shel Zolkewich hat einige Ideen für indigene Begegnungen in Manitoba zusammengetragen, die das Herz eines Reisenden wahrhaft transformativ berühren.
Indigener Spaziergang in den Wetlands
Oft zeigen die umwerfend schönen Kupferarmbänder und -ohrringe von Tanis Thomas von der Natur inspirierte Bilder ̶ Birkenwälder, arktische Sonnenuntergänge oder gar Fischschuppen. Vor kurzem hat die Schmuckdesignerin von Boreal Workshop ihr Angebot um eine zusätzliche Dimension erweitert. Auf ihrer Nibi Miskwaabik Kwe (Water Copper Woman) Interpretive Tour verbindet sie kulturelles Lernen mit Bewegung in der Natur, vermittelt Wissen der Anishinaabe und erklärt die Bedeutung des Wassers entlang des geschützten Brokenhead Wetland Interpretive Trails südöstlich des Lake Winnipeg. Die Teilnehmer der gut 3-stündigen Touren, die zwischen Mai und Oktober angeboten werden, dürfen außerdem eines von Tanis’ Schmuckstücken als Andenken mit nach Hause nehmen.
Begegnung mit den Sayisi Dene
Die Sayisi Dene sind das vielleicht am wenigsten bekannte indigene Volk Manitobas. Aber auch sie haben eine große Geschichte zu erzählen. Als Nomadenvolk folgten sie einst, in einer Zeit, als es noch keine Landkarten gab, den Barrenland-Karibus durch den Norden Kanadas. Florence Hamilton ist eine von ihnen. Mit ihrem Unternehmen Dene Routes bietet sie geführte Spaziergänge und Präsentationen in Churchill an, bei denen sie das beinahe verloren gegangene kulturelle Wissen ihrer Vorfahren weitergibt, um Hoffnung und Heilung zu vermitteln. Mit Hilfe eines gegerbten Karibufells, handgefertigter Werkzeuge, Perlenarbeiten und Tagebüchern, die in der Sprache der Dene verfasst sind, erlangen die Teilnehmer Einblicke in die Kultur der Sayisi Dene.
So schmeckt der indigene Sommer
Gibt es etwas Süßeres als eine Erdbeere aus Manitoba? Vielleicht ein mehrgängiges Menü mit Erdbeeren – und das Ganze dann auch noch direkt in einem Erdbeerfeld. Zu erleben bei Prairie Berry südlich von Winnipeg! Die Farm liegt in der Nähe der kleinen Stadt Glenlea und kann von den Gästen zunächst erkundet werden, bevor ihnen ein von französisch-kanadischen und indigenen Köchen kreiertes und zubereitetes Menü serviert wird. Jedes Dinner ist ein wenig anders und könnte beispielsweise Bison, Bannock und Süßgras-Eiscreme beinhalten, gefolgt von einer indigenen Trommelzeremonie, einem traditionellen Reifentanz oder Storytelling über die indigene Kultur und Geschichte.
Vom Schmerz zur Heilung
Das National Indigenous Residential School Museum liegt auf dem Gebiet der Long Plain First Nation in der Stadt Portage la Prairie. Es ist ein Ort, an dem Artefakte und Dokumente all jenen ein Denkmal setzen, die als indigene Schüler ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis ins Jahr 1996 zwangsweise in kanadischen „Residential Schools“ untergebracht und unterrichtet wurden. Noch wichtiger sind die Geschichten, die diese Artefakte und Dokumente erzählen. Es gibt viel Leid in den Mauern der ehemaligen Residential School, aber es gibt auch Hoffnung, denn das Vermitteln der Geschichte(n) hilft den Überlebenden auf ihrem Weg der Heilung. Zu besonderen Anlässen berichten ehemalige Schüler persönlich von den Erlebnissen ihrer Schulzeit. Dies unterstreicht die Vision des Museums, ein Ort zu sein, an dem die Menschen lernen, sich austauschen, heilen und sich mit einem größeren Verständnis weiterentwickeln können.
Auf der Suche nach der kreativen Ader
Wer zuvor noch nie geschnitzt hat, mag bei den Workshops von Spence Custom Carving anfangs voller Zweifel sein, aber dank der freundlichen Ermutigungen und der hilfreichen Anleitung von Specksteinmeister Fredrick Spence findet man schnell Spaß an der Sache. Im eigentlichen Sinne geht es zunächst um die Herstellung von Kunstwerken, aber schnell entwickelt sich die Veranstaltung zum gemeinsamen Erzählen von Geschichten, während Eisbären, Vögel und Bisons im Speckstein Gestalt annehmen. Teilnehmer erfahren, wie Spence zu seinem indigenen Namen kam, und überraschen sich oft selbst mit ihrem kreativen Talent.
Auf Entdeckungsreise in der Subarktis
Leroy Whitmore bezeichnet sein Unternehmen gerne als „das kleine Reiseunternehmen mit dem großen Herzen”. Klein mag es sein, aber der Erfolg von Sub-Arctic Explorers ist alles andere als das! Es ist Manitobas einziges von einem Inuit geführte Reiseunternehmen. Bei Leroys Touren durch Churchill auf der Suche nach Vögeln und Wildtieren bleibt immer ausreichend Zeit, um die ein oder andere Geschichte zu erzählen, wie es nur ein indigener Bewohner der Subarktis kann. Seinen Gästen bietet er dabei eine stets persönliche Verbindung, nach der sich viele Reisende so sehnen.
Ein indigenes Festmahl für jedermann
Auch wenn das Feast Café Bistro in Winnipegs West End im Jahr 2023 ein Facelifting bekommt, bleibt es seiner eigentlichen Mission treu: Gründerin und Chefköchin Christa Bruneau-Guenther vom Stamm der Peguis First Nation möchte ihre Gäste mit der indigenen Kultur verbinden und gleichzeitig die lokale Gemeinde unterstützen. „Essen bedeutet für mich, dass Freunde und Familien zusammensitzen, das Brot teilen und sich mit der Erde verbunden fühlen“, betont die Gastronomin. Ihre Speisekarte zeigt eine inspirierende Zusammenstellung indigener Gerichte gespickt mit Elementen moderner Esskultur. Das Feast Café ist eine feste Säule in Winnipegs Gastro-Szene und heißt jedermann willkommen, von Stammesältesten, über Mitglieder des kanadischen Obersten Gerichtshofs bis hin zu Gästen, die einfach nur eine warme Mahlzeit suchen. Christa Bruneau-Guenther trägt ihre Botschaft auch als Gastjurorin in nationale Kochshows und als Rednerin in viele kulinarische Konferenzen und Veranstaltungen für indigene Völker.
Perlenstickerei am großen Tisch
Bei Borealis Beading sind Besucher eingeladen, das Perlenfädeln mit zwei Nadeln, das Herstellen von Quilts sowie das Fingerweben kennenzulernen. Oft nähen Anfänger zunächst eine einfache Blume auf einen Tabakbeutel aus Stoff, während erfahrene Perlensticker einen ledernen Medizinbeutel, Handschuhe oder Mokassins anfertigen können. Die Workshops werden im traditionellen Kreis abgehalten, so dass am großen Tisch Geschichten erzählt werden. Farbenpracht und schwungvolle Blüten sind die Markenzeichen der Perlenstickerei der Métis, und nirgendwo ist sie lebendiger als in der Werkstatt von Melanie Gamache in Ste Genevieve. Im Sommer führt sie die Besucher auch durch ihren Garten und informiert dabei über die heimische Flora und ihre medizinischen Eigenschaften.
Wunder des Whiteshell
Bereits seit Tausenden von Jahren nutzten die Ureinwohner Kanadas das Gebiet des heutigen Whiteshell Provincial Parks im Südosten Manitobas für Jagd, Fischfang und Handel sowie viele andere Dinge. Die Bannock Point Petroforms beherbergen hier Steinformationen in Form von Menschen und Schlangen, Vögeln und Schildkröten, die sorgfältig auf moosbedeckten Felsen in Kanadas präkambrischem Schild angeordnet sind. Diane Maytwayashing kennt diese Felsen gut. Die Wissenshüterin der Anishinaabe von Whiteshell Petroforms Authentic Indigenous Tours nimmt Besucher mit auf geführte Wanderungen durch die heilige Stätte ihres Volkes und erzählt von den Lehren und Heilungen, die bis heute in Form von Zeremonien und Gesängen weiterleben. Die Anishinaabe bezeichnen diese Stelle als Manitouabee, den Ort, „an dem der Geist sitzt“.
Abenteuer im Hundeschlitten
Das Bild eines Hundegespanns von Wapusk Adventures, das durch die subarktische Landschaft rast, ist fast so sehr zum Synonym für einen Besuch Churchills geworden wie Eisbären, Belugawale und Nordlichter. Und dafür gibt es einen guten Grund. Was mit einer gelegentlichen Hundeschlittenfahrt für Besucher begann, hat sich zu einem der erfolgreichsten und ältesten indigenen Reiseangebote in Kanada entwickelt. Gründer und Betreiber Dave Daley weist darauf hin, dass seine Gäste nicht nur wegen einer Fahrt im Hundeschlitten kommen, sondern wegen des Gesamterlebnisses. Und genau das bekommen sie auch, von einem Gespräch am Kamin, über begeistertes Heulen der Hunde, bis hin zu einer rasanten Schlittenfahrt gen Norden. Im Sommer bietet Wapusk Adventures auch geführte E-Bike-Touren durch die Stadt an. Sicherlich gibt es keine Familie, von der man lieber Geschichten über das Leben in Churchill hören würde.
Beitragsbild: Eine Tour an den Bannock Point Petroforms mit Diane Maytwayashing. Foto: Travel Manitoba