Der Herr der Stifte: Berliner Lippenstiftmuseum

04. April 2022

Der Herr der Stifte: Berliner Lippenstiftmuseum

Von wegen Lippenstiftmuseum. Das ist nur der offizielle Name. Doch der Visagist René Koch, der einst Superstars wie Hildegard Knef und Liza Minelli noch schöner machte, pflegt hier die Tradition des Berliner Salons und hat jede Menge interessante Geschichten zu erzählen.

Was man betritt, ist kein Museum, es ist ein Tempel. Ein glitzernder schimmernder Palast, der Besucherinnen aus China und Japan glauben lässt, sie seien in einer Filmkulisse für Cabaret gelandet. Dieser Ort ist das weltweit einzige Museum seiner Art. Was ein wenig verwundern mag, schließlich gehört der Lippenstift zu den am meisten verkauften Schönheitsprodukten der Welt. Dabei galt es lange Zeit als anrüchig, sich die Lippen rot zu schminken. Nur Tänzerinnen und Schauspielerinnen schminkten sich damit – die berühmte französische Diva Sarah Bernhardt gab ihm sogar den Beinamen „Stylo d’Amour“ (Stift der Liebe). Zudem war der kleine Stift anfangs nahezu unbezahlbar und absoluter Luxus. Erst mit der Verbreitung des Stummfilms in den 1920er-Jahren wurde der Lippenstift populärer.

Lippenstift und Puderdose von KIGU. Foto: Dieter Stadler
Lippenstift und Puderdose von KIGU, ca. 1950. Foto: Klaus-Dieter Stadler

Hildegard Knef war diejenige, die ihn in Deutschland bekannt und beliebt machte. Und derjenige, der Hand an ihren Mund legte, war Visagist René Koch, der auch mal sagen durfte: „Du siehst ja aus wie Ida Putenschlund“, wenn Hildegard Knef am Morgen etwas verkatert und so gar nicht mehr damenhaft aussah. Aus Dank für seinen Humor, seine Freundschaft und seine Verschönerungskünste schickte ihm die Knef Postkarten aus Paris. Dort war dann zum Beispiel zu lesen: „Geliebter Arsch de Triumph. Ida P. arbeitet auf französisch + auch Deutsch an einer CD.“

Im Lippenstiftmuseum. Foto: Dieter Stadler
Im Lippenstiftmuseum. Foto: Klaus-Dieter Stadler

Die Postkarte der Knef, auf der das zu lesen ist, hat René Koch in seinem Buch „Abgeschminkt“ veröffentlicht. Natürlich hat Hildegard Knef im Museum eine eigene Vitrine, und allein wegen dieses Knef-Altars lohnt es sich schon in die Helmstedter Straße zu kommen. Dort ist der Durchbruch des Lippenstifts in Europa nachzuvollziehen, der nach dem Krieg seinen Siegeszug antrat, als die Amerikaner den Drehlippenstift nach Deutschland mitbrachten und Hildegard Knef für den „Volkslippenstift“ (VL) für nur 1,50 Mark warb... Neben der Knef sind Hunderte von weiteren Stars im Lippenstiftmuseum zu sehen, die sich auf ihren Autogrammen auch mit einem Kiss-o-Gramm verewigt haben: einem roten Lippenstiftabdruck.

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Über das Buch

Berlin – mal ehrlich, wer möchte neben den stets überfüllten Sehenswürdigkeiten Museumsinsel, Fernsehturm und Reichstagskuppel nicht auch einmal ruhigere oder abenteuerlichere Winkel in der Hauptstadt besuchen? Ganz besondere Orte. Wer hätte gedacht, dass es hier 70 Inseln (!) gibt, dass die Stadt mehr Brücken zählt als Venedig und man die Ufer aller Flüsse, Kanäle und Seen Berlins 600 Kilometer lang abfahren könnte? Oft verbergen sich die besonderen Abenteuer im Zentrum gleich um die Ecke, wie das Futurium am Berliner Hauptbahnhof. Oder wie am Stadtrand ein altes Fort, das weitaus mehr ist als nur ein Drehort für einen berühmten Quentin-Tarantino-Film.

Joscha Remus entführt in das Berlin der 1920er Jahre und das Berlin der Zukunft, führt zum kleinsten Strand der Stadt, zu Wildhopfenbieren, einer Dampflokomotive, festgefroren in der Zeit zwischen Bäumen. Beschreibt eine Arche an der Spree, Wasserbüffel auf einer alten Fischerinsel, ein Winterbadeschiff, einen unbekannten Fliegeberg und Räume der Stille mitten in der Stadt. Das Schönste an all den vorgestellten geheimen, besonderen Orten Berlins aber ist: Die allermeisten von ihnen können völlig kostenlos oder sehr günstig entdeckt, erlebt und bestaunt werden.

Über den Autor: Joscha Remus ist ein in der Eifel geborener Reiseschriftsteller und Journalist. Wenn er nicht seiner großen Leidenschaft nachgeht und die Welt bereist, um Bilder und Geschichten zu sammeln oder sich für Gourmetmagazine durch Istanbul und Sankt Petersburg zu schlemmen, lebt er in Berlin. Unter seinen zahlreichen Büchern finden sich neben einem Kinderbuch über Berlin auch Sprach- und Reiseführer, Hörbücher sowie literarische Werke, wie das Berlinbuch „Der Lichtertanz am Mauerpark“. Für den SWR produzierte Joscha Remus Reise- und Wissensfeatures. Seine Reisehörbuch-Reihe WEGwärts wurde mit dem Deutschen Hörbuchpreis ausgezeichnet.

Text: Joscha Remus. Beitragsbild: René Koch mit XXL-Lippenstiften. Foto: Klaus-Dieter Stadler