29. Juli 2021
Fischland-Darß-Zingst: Eine Galerie im Glück
Gabi Raskop bewahrt im alten Klosterstift von Ribnitz-Damgarten hunderte Werke heimischer Künstler. Besonders verfallen ist sie Lyonel Feininger. Jenem gern gesehenen Gast der Stadt, der in diesen Tagen 150. Geburtstag gefeiert hätte.
Wer das alte Damenstift des Ribnitzer Klosters betritt, merkt gleich, dass hier etwas anders ist. Anders als die Erwartung, die sich gewöhnlich an einen Besuch einer städtischen Galerie knüpft. Einmalig ist die hochwertige Sammlung von mehr als 900 Meisterstücken regionaler oder von der Region inspirierter Künstler, die hinter der Pforte des malerischen Backsteinbaus ihre Zeit fristen. Locker könnte sie mit dem Ausstellungsfundus großer Kunstmuseen mithalten.
Den größten Unterschied macht Gabi Raskop. Mit Herz, Leidenschaft und jeder Menge Kenntnis bewahrt und kuratiert die Galerieleiterin Margret Middells Holzschnitte, Gerlinde Creutzburgs Radierungen oder Jo Jastrams Plastiken. Schließlich ist die gebürtige Ribnitz-Damgartenerin studierte Kunstpädagogin und seit Jahrzehnten eng mit der Kunstszene der Boddenregion verbunden – und ihr zugetan. Vor allem einem Künstler, der Anfang des 20. Jahrhunderts mehrere Male am Ribnitzer See gastierte und heute in einer ständigen Ausstellung in der Galerie zu bestaunen ist.
„Mindestens drei Mal war der weltberühmte Künstler Lyonel Feininger in der Stadt unterwegs. Während seiner Aufenthalte porträtierte und verarbeitete er sie in über 80 Werken“, sagt Gabi Raskop begeistert, bevor sie in Erinnerungen schwelgt. „Die Kenntnis darüber, dass der deutsch-amerikanische Künstler überhaupt in Ribnitz-Damgarten unterwegs war, ist einem Zufall entsprungen. Genauso die Möglichkeit, ihm heute mit dem Feininger-Kabinett eine umfassende und dauerhafte Ausstellung zu widmen.“
Kurz nach der Jahrtausendwende ging die damalige Stadtarchivarin von Ribnitz-Damgarten einem Gewinnspiel auf den Grund, das sie beiläufig im Autoradio hörte. Die Rätselfrage drehte sich um ein Ölgemälde Lyonel Feiningers, welches die Ribnitzer Klarissenkirche unweit der heutigen Galerie abbildete. Es war das zu diesem Zeitpunkt einzige bekannte Werk des Künstlers mit Bezug zur Stadt.
Die Neugier der Archivarin war geweckt – genauso jene von Gabi Raskop. „Eine spannende Zeit“, beschreibt die Galerieleiterin die folgenden Wochen, in denen beide gemeinsam mit weiteren Feininger-Begeisterten immer mehr über die enge Verbindung des Künstlers zur Region herausfanden.
Zehn originale Zeichnungen und Grafiken, einige Kopien sowie Bücher mit Feininger-Comics können heute, einige Jahre später, bei bezaubernden Klängen seiner selbst komponierten Fugen in der Galerie im Kloster beäugt werden.
Auch tiefere Einblicke lassen sich gewinnen. Bei einem Blick in Thomas Fehlings Buch „Lyonel Feininger in Ribnitz und Damgarten“ – oder beim direkten Austausch mit Gabi Raskop.
Es ist eben anders in der Galerie des alten Damenstifts des Ribnitzer Klosters. Besonders. Sie ist ein Kleinod der Kunst. Eine Galerie im Glück. Dank ganz besonderer Menschen, die sie prägten und prägen.
Die Galerie im Kloster in Ribnitz-Damgarten hat zwischen Februar und Oktober immer dienstags bis samstags von 11 bis 17 Uhr (im Winter mittwochs bis samstags von 11 bis 17 Uhr) geöffnet. Der Eintritt ist frei. Weitere Informationen: www.galerie-ribnitz.de
Tipp: Unterwegs auf Feiningers Spuren in Ribnitz-Damgarten
Ein Feininger-Rundgang bietet Gelegenheit auf den Spuren des deutsch-amerikanischen Expressionisten zu wandeln. Der inszenierte Spaziergang führt vom Klosterhof über das mittelalterliche Stadttor und den Hafen bis in das Herz der Altstadt:
- Stele 1: Am Klosterteich: Die Straße unweit des heutigen Klosterteiches führt entlang der einstigen Stadtmauer. Charakteristisch sind die von Feininger gezeichneten niedrigen Gebäude. Sie durften die Stadtmauer nicht überragen.
- Stele 2: Predigerstraße: In verschiedenen Techniken lässt Lyonel Feininger die Straße erscheinen. Immer im Blick der imposante Turm der Stadtkirche.
- Stele 3: Mühlenstraße: Seit 1878/79 befand sich auf dem Gelände der heutigen Mühlenstraße 10 das Amtsgericht und ein Gefängnis. Der nördliche Teil der Straße trug im Jahr von Feiningers Besuch, 1905, noch die Namen Schafrichterstraße oder Schinnerstraat.
- Stele 4: Lange Straße: Die längste Straße der Ribnitzer Altstadt. Hier befand sich das Hotel Kaiserhof, wo Lyonel gemeinsam mit seiner großen Liebe Julia Berg logierte.
- Stele 5: Rostocker Tor: Das heute älteste Stadttor Mecklenburg-Vorpommerns trotzte allen Abrissversuchen, die seit dem 14. Jahrhundert unternommen wurden. Lyonel Feininger begleitete dieses Motiv („The Gate“) bis an sein Lebensende.
- Stele 6: Gänsestraße: Vermutlich wurden auf dieser Straße, in der zwischen 1903 und 1932 auch der Bürgermeister wohnte, Gänse die Stadt hinausgetrieben. Feininger richtete seinen Blick über die Dächer der kleinen Häuser hinweg auf den Turm der Stadtkirche.
- Stele 7: Am Hafen: Alle in nördliche Richtung führenden Straßen gelangen letztlich zum Hafen. Vorstellbar, dass Lyonel Feininger gemeinsam mit Julia Berg hier verweilte und beim Blick auf die wankenden Segelboote entspannte.
- Stele 8: Mauerstraße: Die Straße ist Teil eines Weges, der früher hinter der Stadtmauer rund um die Stadt führte. Feininger verewigte sie in verschiedenen Stilen auf Papier.
- Stele 9: Am Markt: Nach einem Großbrand wurde der Ribnitzer Marktplatz Anfang des 19. Jahrhunderts neu gestaltet und gleichzeitig vergrößert. Feininger fokussierte einmal mehr einen Kirchturm. In diesem Fall den Turm der Klarissenkirche.
- Stele 10: Klarissenkirche: Lyonel Feininger liebte Architektur. Die Schlichtheit und Erhabenheit hoch aufstrebender Linien haben ihn immer wieder künstlerisch angeregt. Die Ribnitzer Klosterkirche wurde von Feininger gleich mehrfach festgehalten – in Öl wie auch in Bleistift.
Der Kunstverein Ribnitz-Damgarten e. V. hält eine Broschüre zum Feininger Rundgang bereit. Diese kann in der Galerie im Kloster gegen eine Schutzgebühr von zwei Euro erworben werden.
Beitragsbild: Feininger hielt das älteste Stadttor Mecklenburg-Vorpommerns, das Rostocker Tor in Ribnitz, mit dem Bleistift fest. Eine Stele lässt den Blick des Künstlers rekonstruieren. Photo Credit: Voigt & Kranz UG, ostsee-kuestenbilder.de