Kanada: Indigener Tourismus als Türöffner für Begegnung der Kulturen

27. September 2022

Kanada: Indigener Tourismus als Türöffner für Begegnung der Kulturen

Am 30. September ist der National Day for Truth and Reconciliation. Kanada ehrt an diesem Tag, der zuvor als Orange Shirt Day bekannt war, die verschwundenen Kinder und Überlebenden der so genannten Residential Schools, in denen indigene Kinder assimiliert werden sollten. Die Auseinandersetzung mit der Wahrheit und der Wunsch nach Versöhnung der Kulturen steht dabei im Vordergrund. Die Frage nach der gemeinsamen Zukunft aller Bewohner des Ahornlands wird aber nicht nur an diesem Tag sichtbar sondern ist eine stetig präsente Herausforderung auf vielen Ebenen. Der indigene Tourismus spielt dabei eine zentrale Rolle, denn er ermöglicht authentische Einblicke und Austausch.

Indigene Erlebnisse sind ein Türöffner in unzähligen Bereichen: Sie fördern echte Begegnungen mit der Kultur und Geschichte der First Nations, schaffen eine Basis für die Verständigung der Kulturen und unterstützen die Angebote und damit auch das wirtschaftliche Wachstum indigener Gemeinden. Auch ehemalige Residential Schools sind zu Orten der Begegnung und Versöhnung geworden - und helfen den First Nations Stämmen heute, ihre kulturelle Identität wiederzuentdecken und zu bewahren. Hier kommen einige Beispiele für berührende Begegnungsstätten.

St. Eugene Golf Resort & Casino in Cranbrook, British Columbia

St. Eugene Resort and Casino, Cranbrook (British Columbia). Foto: Indigenous Tourism Canada
St. Eugene Resort and Casino, Cranbrook (British Columbia). Foto: Indigenous Tourism Canada

In den Kootenay Rocky Mountains, wo moderne Lodges mit ihrer alpinen Kulisse fotogen verschmelzen, wirkt das St. Eugene Resort & Casino zunächst wie ein eigentümlicher Fremdkörper. Ganz aus grauem Stein und gekrönt von einem roten Dach mit Glockenturm und Kruzifix, erinnert es mehr an eine Festung als an eine einladende Unterkunft. Von 1912 bis 1970 war das Resort als St. Eugene Mission eine Internatsschule für rund 5.000 Kinder der Ktunaxa Nation und anderer First Nations. Die Entscheidung, den Ort des Grauens in ein Resort zu verwandeln, fiel dem Stamm nicht leicht. Viele hätten das Schandmal am liebsten niedergebrannt, am Ende ebnete der Ratschlag der Ältesten Mary Paul den Weg in Richtung Versöhnung mit dem Ort: „Weil die Kootenay Nation in dieser Internatsschule ihrer kulturellen Identität entledigt wurden, ist es nur richtig, dass sie ihnen hier zurückgegeben wird.“ Heute ist die Mission ein 125-Zimmer-Luxushotel, zu dem außer Golfplatz und Kasino auch ein Spa, eine Sauna, ein Schwimmbad und ein Campingplatz gehören. Das Ktunaxa Interpretive Center organisiert 90-minütige Führungen mit Überlebenden, die über ihre Kultur sprechen und von ihren Erfahrungen berichten. Ihre Arbeit im Resort, sagen sie, sei Teil ihrer Heilung und Versöhnung mit dem, was dort passiert ist. Besondere Begegnungen ermöglichen sie durch Storytelling am Lagerfeuer und Workshops für traditionelles Kunsthandwerk. https://www.steugene.ca/

National Indigenous Residential School Museum of Canada, Manitoba

Am Stadtrand von Portage la Prairie, eine Autostunde westlich von Winnipeg, beherbergt die ehemalige Portage Indian Residential School das National Indigenous Residential School Museum of Canada. Heute gehört das Gebäude des alten Internats der Long Plain First Nation. Die 1915 eröffnete Schule besuchten Kinder der Long Plain First Nation und weiterer First Nations aus dem Norden Manitobas. Verwaltet wurde sie bis 1969 von verschiedenen kirchlichen Organisationen, bis zu ihrer Schließung 1975 vom Department of Indian Affairs. 2005 ernannte die Provinz Manitoba das Gebäude zur Gedenkstätte. 2018 begann das Museum mit zunächst zwei kleinen Räumen, 2020 wurde es auch zur nationalen Gedenkstätte erklärt. Mit der Verwandlung der Internatsschule in ein Museum wollte die Long Plain First Nation dieses dunkle Kapitel der kanadischen Geschichte für die Nachwelt bewahren. Der Ort soll zudem eine Stätte der Heilung sein. Besucher finden dort heute herausragende Ausstellungen zur uralten Kultur der Long Plain First Nation und zu den Auswirkungen des Internatssystems. www.nirsmuseum.ca

St. Mary’s Residential School in Mission, British Columbia

Einst reichte das Land der Stó:lō Nation von Yale im Fraser Canyon bis zur Mündung des Fraser River. Der Stamm bietet ein vielseitiges Tourismusprogramm mit zahlreichen kulturellen Touren und Erlebnissen.  Außer traditionellen Aktivitäten wie Schnitzen, Weben und Storytelling im herrlichen Coqualeetza Educational Longhouse bieten die Stó:lō Guides Besuchern Führungen durch die St. Mary's Residential School im nahen Mission an. Die Führungen beginnen in der Kapelle mit einer Einführung in die Geschichte der 1984 geschlossenen Schule, bevor es in das Schulgebäude mit seiner Kantine und den Schlafsälen für Jungen und Mädchen geht. Die Führungen sind eine gute Gelegenheit, eine der wenigen noch intakten Internatsschulen zu besichtigen und sich von Zeitzeugen in die Geschichte führen zu lassen. https://www.stolonation.bc.ca/

Woodland Cultural Centre in Brantford, Ontario

Endaa-Aang Tourism, Little Current (Ontario). Foto: Indigenous Tourism Canada
Endaa-Aang Tourism, Little Current (Ontario). Foto: Indigenous Tourism Canada

Die Mohawk Institute Indian Residential School in Brantford war von 1828 bis 1970 in Betrieb. Hier wurden ihren Eltern entrissene Kinder der Six Nations (Onondaga, Mohawk, Cayuga, Oneida, Seneca und Tuscarora) und anderer First Nations in Ontario und Québec unterrichtet. Nach der Schließung wurde das Gebäude 1972 unter der Führung der Association of Iroquois and Allied Indians (AIAI) als Woodland Cultural Centre wiedereröffnet. Die gemeinnützige Organisation arbeitet seitdem für die Erhaltung und Förderung der indigenen Kultur und führt ein Museum, das mit über 50.000 Artefakten zu den größten von Indigenen geführten Museen in Kanada zählt. Besucher können die ehemalige Internatsschule sowohl online als auch vor Ort besichtigen. Seit 2014 sammelte das Woodland Cultural Centre mit der Kampagne "Save the Evidence“ finanzielle Mittel, um das Gebäude zu restaurieren und ein Informationsgebäude zu errichten. https://woodlandculturalcentre.ca/ 

Beitragsbild: Trommler in British Columbia. Foto: Indigenous Tourism Canada